Mätteler sind doof

Das Wasser hat sich aus den Lauben verzogen, ist aus den Kellern gepumpt und das letzte Tröpfchen wird mit Bautrocknern aus den nassen Räumen verscheucht. Alles vorbei, alles ist wieder normal.
Genau, genau, genau. Das ist ja gerade das Wunderbare, wie zügig der Alltag in der Matte wieder einkehrt.

Tempo 30? Das ist doch nur etwas für Feiglinge. Wer durch die Matte fährt, zeigt was er hat, lässt sich bewundern, wie er in Bestzeit auf der Kopfsteinpiste im Slalom um die Baustellen brettert.

Durchfahrverbot? Das ist doch nur für die Naiven, die noch daran glauben. Wenn schon unser Tell durch die hohle Gasse schoss, warum sollten Automobilisten vor der Gerberngasse Halt machen.

Nachtfahrverbot? Hä? Die Nacht kann ja gar nicht Autofahren, was soll denn dieser Blödsinn wieder?

Fussgänger in der Matte? Die sollen doch auf den Ballenberg, hier stören sie nur. Die Lauben sind voller Bauschutt, die Strassen gehören den Autos, also bitteschön: verschwindet, kommt erst nächstes Jahr wieder!

Stapimobil

Parkplatz mit Anwohnervignette? Zahlen und parken? Gute Idee, aber wo denn? Vor jedem Haus stehen Abschrankungen und  Schuttmulden. Der Mühlenplatz ist zum behördlich abgesegneten Dauerfestplatz geworden, mit Zelt, Nachtlärm und Bierseligkeit und allem drum und dran.

Polizei? Ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob's die überhaupt noch gibt? In der Matte sehe ich sie jedenfalls kaum mehr, obwohl der eine oder andere Bewohner vielleicht noch ganz froh um ein wenig Schutz wäre. Denn sind das bloss die üblichen besoffenen Vandalen oder sind es Plünderer, die nachts wieder ungehindert durch die Matte ziehen?

Politiker? Ja die haben jetzt eine gute Zeit. Nach dem strahlenden Medienrausch auf wundersame Weise abgetaucht, haben sie wieder genügend Zeit um über Hochwasserschutz nachzudenken, zu hinterfragen, zu meditieren und vor allem zu reden und zu reden und zu reden. In drei, vier Jahren schon wird eine Kommission beschliessen, eine Statue von St. Nepomuk auf die Aareschwelle zu stellen.

Da habe ich's drüben  im Bärengraben auf meiner Tanne aber deutlich besser. Den Bärenpark an der Aare wollen sie zwar jetzt nicht bauen, scheints wegem dem Hochwasser. Hmm, also doch, die klugen Behördenköpfe erwarten eine weitere Überschwemmung! Mir jedenfalls wird nichts passieren. Denn die Politiker wissen haargenau: wenn einer von uns Bären in der Aare untergeht, dann kommt der Tierschutz persönlich.

Nicht so wie bei den doofen Mättelern...

Sachar und der Tannenbär



Aarstrasse

12. September: Die Bauarbeiter sind nach einem hoffentlich erholsamen Wochenende zurück. Der Baulärm wird mich noch einige Zeit begleiten. Die Regennächte sind noch etwas unruhig. Da und dort gehen Lichter an. Man schaut auf die Aare - überprüft - überwacht. Zieht sich wieder unter die Bettdecke zurück. Am Morgen, nach dem Aufstehen war der erste Gang normalerweise zur Kaffeemaschine, jetzt ist es der Gang zum Fenster. Man schaut hinaus, stellt fest, dass das Wasser zwar gestiegen ist, aber es in einigermassen geordneten Bahnen läuft. Der Tag kann beginnen ...

Muldenlastwagen

13. September: Mulden, um Mulden werden abgeführt. Die grösste Gefahr ist wieder für einen Moment gebannt, denn auch in der Matte ist es ein strahlend schöner Spätsommertag. Ein emsiges Treiben herrscht. Versicherungsmenschen, Architekten und Handwerker marschieren mit Block und Bleistift durch die Matte, notieren, reden, gestikulieren. Die Autos stehen kreuz und quer im Quartier. Ich bin übrigens nach wie vor erstaunt wie viele Menschen in der Matte leben, denn wenn alle die hier durchfahren in der Matte wohnen würden, wäre das Quartier wohl "überbevölkert".

Parkplatzprobleme

14. September: Nach wie vor ist es laut im Quartier. Es gibt noch viel zu tun und so denke ich, dass es im Moment so etwas wie Normalität gibt. Die Bewohner gehen aus dem Quartier zur Arbeit, die Handwerker kommen ins Quartier. So ist Leben in der Matte und das ist gut so. Wie es sein wird, wenn die nächsten Regentropfen fallen, das werden wir sehen. Grosse Emotionen sind nach wie vor vorhanden. Manch einer hat seine Solidarität vom Hochwasser schon wieder vergessen. Manch einer bleibt noch für einen Augenblick im Sumpf sitzen und manch einer brütet darüber nach wie er in der Matte weiterleben will.

Gerberngasse

15. September: Für ein Mal begann der Tag ziemlich ruhig. An das Geräusch der Trocknungsmaschinen habe ich mich schon langsam gewöhnt. Das grosse Ausbrechen ist wohl schon fast vorbei. Jetzt gilt es Geduld zu haben und zu warten. Einigen kann es mit dem Aufbauen nicht schnell genug gehen. Wenn sich das nur nicht rächt! Bis alles wieder einigermassen trocken ist, wird das bestimmt noch einige Zeit dauern. So hoffe ich auf Wetterglück und, dass die Sonne möglichst viele Strahlen auf die nassen Häuser wirft. Der Geruch der nassen Keller wird wohl ebenfalls noch eine Weile zur Tagesordnung gehören.


Spruch des Tages vom 15. September 2003

Eine Mätteler sagt: Wieso wir evakuiert werden mussten, weiss ich heute noch nicht, denn wir hatten von den aufgetauten Kühlschränken genügend Nahrung zur Verfügung.

Spruch des Tages vom 13. September 2005

Ein Mätteler sagt: Hast du genügend Kerzen im Haus, damit wir beim nächsten Hochwasser gemütlich lesen können?


Hochwasser ist geil

Die Berner Matte wird zum Ausflugsziel - in Scharen eilen an Wochenenden die selbsternannten Hochwasserexperten durch die ramponierten, schmutzigen Gassen an der Aare.  Da werden kleine Kinder hochgehalten, damit sie besser sehen wo die Aare durchging, als sie sich ihren eigenen Weg durch das Quartier suchte. Da werden Grossmütter ungeduldig durch das Quartier gezerrt, komm endlich, weiter vorne da hat es noch schrecklichere Schäden zu bestaunen. Das ist besser als am Fernseher, das ist richtig geil.

Kommt, liebe Gaffer, kommt herbei. Seht euch genau an, was sechs Jahre Obrigkeits-Blabla zum Thema Hochwasserschutz zustande bringen. Lasst euch überraschen, dass die Matte in der selben Stadt liegt, die für Abermillionen ein Dach über den Bahnhofplatz bauen will, damit ja niemand nass wird.

Und bitte kommt alle in 1000 Tagen wieder, dann läuft der Wahlkampf in Bern auf Hochtouren. Kommt in die Matte hinunter und lasst euch von den Bewohnern erzählen, was genau zum Hochwasserschutz seither unternommen wurde. Und trefft die richtige Wahl!

Wir werden da sein. Alle, die drin waren, werden dran bleiben! 

Sachar