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Brunnezytig 22.6.1991 (Beilage Matte-Leist)

Editorial

«Aha» heisst Wasser und stammt aus dem althochdeutschen; daraus entstand der Name «Aare». An der Aare liegt die Matte und über die Mätteler weiss man vieles zu berichten: Vor Jahrhunderten wohnten am Wasser natürlich Schiffsleute. Fremde Händler legten in der Matte an und betrieben ihre Geschäfte. So kamen die Mätteler mit allergattig Volk zusammen: Händler, Gauner und sonstiges «gspässigs» Volk, und diese unterhielten sich in einer faszinieren-den Geheimsprache. Die Schiffsleute der Matte vermischten dieses Rotwelsch mit dem Berndeutsch und daraus entstand das Mattenenglisch. Mit der Zeit be-völkerten auch Arbeiter, Büetzer, das Mattequartier, eine «Armleute-Gegend» entstand und man wurde stolz auf seine eigene Sprache, die einem abhob von den Obrigen; mit diesen wollte man nichts zu tun haben (und umgekehrt), man blieb unter seinesgleichen und fühlte sich wohl. Über lange Zeit hielt man es in der Stadt Bern so. Doch irgendwann, vor nicht allzulanger Zeit, konnte man einen Wechsel feststellen, das Mattenenglisch geriet langsam in Vergessenheit und neue Gesichter hielten Einzug im Mattenquartier. So wie man früher abschätzig feststellte: «Ah ir Matte wonsch!» tönt es heute: «OOhh ir Matte wonsch!!» Ja, so ändern die Stimmungen. Eine alte Mättelere hat das Gefühl, dass sich auch sonst viel geändert habe - doch es scheint, dass der Geist den Hauch von Zugehörigkeit überlebt hat. J. V.


Eine Begegnung

Therese Brechbühler

«Weisch ig bi ä alti Mättelere!» Am Aarefest drangen diese Worte an mein Ohr. Hellhörig geworden wandert mein Blick und bleibt an einer junggebliebenen Frau hängen. Natürlich suche ich das Gespräch mit ihr. 1928 kitzelten Sonnenstrahlen das erste Mal Therese Brechbühler-Streit an der Nase, und ihr Lachen tönte durch die Schifflaube. Sicher nicht das letzte Mal; Lachfältchen prägen das Gesicht und mit blitzenden Augen erzählt sie mir von ihrer schönen Jugendzeit in der Matte. Aus der Schifflaube zügelte die Familie in die Wohnung der Tuchfabrik Schild AG. Besonders die grosse Terrasse mit den vielen Blumen und Pflanzen sieht Therese in diesem Moment vor sich. Es war eine herrliche Zeit. Ihre Mutter, aktiv im Mattenenglischclub, kannte alle Leute und Therese fühlte sich warm und geborgen in dieser familiären Umgebung. Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit half ihr dann auch über die Sekundarschulzeit hindurch. Besonders die Lehrerin bekundete Mühe mit diesem Arbeiterkind: «äs chummt äbä und bsundrigs vo dort ungä!» 1951 verliess Therese die Matte. Aber schon vier Jahre später kehrte sie mit ihren Kindern zurück und fand ein neues Heim an der Badgasse. «Längizyti wirsch ha!» diese Warnung begleitete Therese, als sie nach 16 Jahren das Quartier an der Aare wieder verliess. Kontakt hat sie behalten. Regelmässig besucht sie eine Freundin am Bowäger (Bubenbergrain). Auch mit anderen Anwohnern hält sie die Freundschaft aufrecht, nein, endgültig kann man die Matte nie verlassen ... Das Aarefest nahm Therese als Anlass, bewusst «ihre» Matte zu besuchen. Die Bäckerei Hirsbrunner und die Metzgerei Schläfli standen auf dem Programm, doch beide Geschäfte gibt es nicht mehr. Insbesondere fällt Therese auf, dass die Eingangstüren alle so neu und massiv wirken. Viel ist renoviert, und keinen Menschen hat Therese wiedererkannt. Etwas wehmütig schwärmt sie von der Mattechilbi und erzählt von der Rossschmiede und diesem eigenartigen Geruch verbrannten Horns . . . ; «uh, jitz wird ig aber sentimental!» Zurück möchte Therese nicht mehr. Als rege Konzert- und Theaterbesucherin würde sie sich heute nicht mehr wagen, in der Nacht alleine heimzukehren; und jedes Mal ein Taxi! es hat ja keine öffentlichen Verkehrsmittel ... und überhaupt, die Wohnungen kann man sich ja heute kaum mehr leisten. «Nein, ich hatte eine wunderschöne Zeit hier unten, jeder kannte jeden. Heute ist das bestimmt nicht mehr so».


Christine Lauterburg, 33, Jodlerin und Schauspielerin

Christine Luterburg

Beide Fenster stehen weit offen. Der Blick fällt auf Wasser, wie ein See präsentiert sich die Aare. Südliche Stimmung - man sieht das Wasser und fühlt sich versetzt in ein kleines Fischerdorf mit südlicher Wärme; oder auf ein Schiff schaukelnd im Meer, das Wasser rauscht . . . Mit solchen Worten lässt sich Christine Lauterburg spüren und fühlen, wie sie die Matte «lebt». Bis vor kurzem belebte ein majestätischer Reiher den «Aaresee», doch er flog abwärts und ward nie mehr gesehen. Alle Veränderungen und Bewegungen nimmt Christine wahr. Bedeutet doch dieser Blick hinaus auf's Wasser Entspannung, Belebung und immer wieder ein tiefes Glücksgefühl. Besonders in der Nacht, wenn kein Verkehr mehr die Idylle stört, nimmt das Ohr all die verborgenen Geräusche auf, welche die Matte mit Seeanstoss birgt. «Chömmet loset einisch» Psst ... Als Fischgeborene könnte sich Christine Lauterburg ihr Leben ohne Wasser nur schwer vorstellen. Magisch wird sie angezogen, darum ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Christine natürlich in der Matte geboren wurde. Ihre frühe Jugend und die ersten Schuljahre Verbrachte sie in der Matte, bis die Eltern, schon damals!, den Verkehr als «zu viel» erachteten und mit den Kindern aufs Land zogen. Reisemüde und die Erkenntnis, dass man durch Reisen einer Unzufriedenheit nicht entgehen kann, liessen die quicklebendige Schauspielerin ihren engen Bezug zur Schweiz, insbesondere zu Bern, neu fühlen. Bern ist ihr lieb und das Mattequartier das liebste. Christine schätzt die Helligkeit und den Charme und besonders die Menschen. Ein buntes Völkchen findet Unterschlupf unten an der Aare: Künstler, Musiker, Freiberufliche und besonders alte Berner Originale in den Beizen. Sie möchte diese Begegnungen nicht missen, sei es ein kurzer Schwatz mit Freunden vor dem Postfach, sei es dieses kurze Zulachen auf der Strasse. Man kennt und grüsst einander, beinahe wie in einem Dorf, und dies mitten in der Stadt.

 Durch einen Freund, Kuno Seethaler, der am Wohnbaugenossenschaftsprojekt arbeitet, fand Christine eine Wohnung in der Schifflaube. Es ist eines der älteren Häuser. Ein idealer Ort für die Künstlerin, immer schon bewohnte sie grosse, verlassene, alte Wohnungen oder Häuser. Sie ist angewiesen auf eine tolerante Umgebung, probt sie manchmal noch um 03.00 Uhr morgens, Kreativität kennt keine Zeit! Das Haus hat zwei Treppen und man erzählt sich die Geschichte, dass zu allen Zeiten Revolutionäre dieses Haus bewohnten. Wenn die Polizei kam, hatte man immer den Fluchtweg über die andere Treppe. Diese Geschichte gefällt Christine und sie fühlt sich wohl in dieser Umgebung. Es sieht jetzt auch ganz so aus, dass sie bleiben kann und die Familie Lauterburg wieder für lange Zeit Sitz nimmt in der Matte. In die Zukunft träumend sieht Christine den Mühleplatz als Begegnungszentrum mit Bänken und Gartenrestaurant, kein Auto stört je wieder diesen beinahe unwirklich schönen Ort - die Matte.


Fred Balmer

Fred Balmer

Lachend, so kennt und schätzt man Fred Balmer, «leider schon» 56 Jahre. Seit zehn Jahren wohnt der lebhafte, vielbeschäftigte Aussteiger nun in der Matte. Auch er hatte schon in frühster Jugend Kontakte in der Matte. Die Schwester seines Göttis unterhielt ein Milchlädeli an der Schifflaube 30. Heute wohnt er dort, wo er vor Jahren gespielt hat. Kann das Zufall sein? Wohnqualität steht für den Ex-Präsi des Matteleistes gross geschrieben: Schnell ist man in der Stadt, und seine Wohnung liegt traumhaft ruhig. Trotz der neu renovierten Wohnungen und damit den vielen neuen Gesichtern und des grossen sozialen Gefälles, grüsst und kennt man sich noch. Auch hier fallen die Worte wie: «Dörfchencharakter, heimelig, wir sind stolz Mätteler zu sein . . .» Trotz dieser Vielfalt zieht man am gleichen Strick, besonders was die Verkehrsfrage anbelangt. Als «Höhepunkt» seiner Präsidentenzeit bezeichnet der Kalligraph die Annahme der definitiven Mattensperre für den Durchgangsverkehr. Fred hofft auf eine sanfte Sanierung der renovierungsbedürftigen Wohnungen. Man vergisst gerne, dass es noch heute arge Wohnungen gibt unten in der Matte. Neben seinem Tabaklädeli widmet Fred ungefähr 30% seiner Zeit der Kalligraphie, der Schönschreibekunst. Eine Arbeit, die er sehr liebt, Falls ihm neben dem Theaterspielen noch Zeit bleibt, wandert er gerne durch Flusslandschaften. Ja eben, die Zeit! Diese fehlt ihm ein wenig, möchte er doch gerne seine Wohnung vermehrt geniessen. Da er viel unterwegs ist, bedeutet für Fred Balmer das Heimkommen sehr viel. Wenn er vom Zähringer her nach vorne kommt und es leicht fischelet, weiss er, Jitz bin ig daheim!»


Interna

An unserer Hauptversammlung vom 26. März wurde ich als neuer Präsident gewählt, ebenso ergab es auch im Vorstand einige Umbesetzungen. Ich möchte auch auf diesem Weg nochmals allen bisherigen «Drahtziehern» danken - vorallem dem scheidenden Präsident Fred Balmer, welcher sich etliche Jahre um die Geschicke unseres Leistes bemühte . . . Wieviele Stunden ehrenamtlicher Arbeit dahinter stecken, kann ich erst heute beurteilen . . . Inzwischen versuchten wir verschiedenste Aktivitäten zu realisieren oder uns für Wünsche/Forderungen der Matte-Bewohner/Werktätigen einzusetzen. Ich möchte hier nicht alle Bemühungen aufzählen - wir informieren laufend über unsere beiden Anschlagkästen im Quartier - interessierte Matte-«Benützer» dürften also informiert sein. Momentan «stresst» uns das Aare-Festival vom 7./8.Juni - wir betreiben eine MATTE-Leist-Beiz und investieren für ein abwechslungsreiches Alternativ-Live-Programm! (Wenn Sie dies lesen, ist bereits alles überstanden!). Sehr aktuell ist allerdings die Einweihung der Turnhalle vom Samstag, 22. Juni - im Anschluss der Kinderspiele und -Wettkämpfe finden nachmittags weitere sportliche Attraktionen statt, und abends sind Sie eingeladen, an unserem Sommernachts-Plousch auf dem Turnhallen-Platz teilzunehmen - eine günstige Gelegenheit, bei Trunk und Frass sich besser kennenzulernen. Wir freuen uns auf einen grossen Aufmarsch! Kommen Sie, wie und wann es Ihnen am besten passt! Weiter möchte ich hier nicht mehr Textzeilen beanspruchen, sondern mit meinem besten Dank das Wort unserer Redaktion überlassen. Abgesehen davon würde es uns sehr freuen, aus Kreisen der Leser Anregungen oder auch Kritik zu erhalten. Wir wünschen allen schöne Sommerzeit.

Rene Stirnemann, Matte-Leist